Drei Jahre Fashion Week Berlin: Der Versuch von einem Fazit
Ja, ich weiß, für einen Rückblick bin ich wohl auch schon fast einen Monat zu spät dran. Aber seitdem ich meinen prall gefüllten Fashion Week Koffer aus dem Kofferraum des Fernbusses wieder in mein heimeliges Wohnzimmer geschleift hatte, habe ich viel nachgedacht. Und mich auch mit einigen anderen lieben Modemenschen aus meinem Umkreis über meine Gedanken unterhalten. Und dabei festgestellt, dass ich damit gar nicht so mutterseelenallein dastehe, wie ich dachte. Nach fast drei Jahren oder auch nach sechs Saisons Fashion Week Berlin – meine erste Saison war die im Januar 2011 – ist ein persönliches Fazit längt überfällig. Ich erinnere mich noch mehr als gut an den Moment, als ich um die Weihnachtszeit herum freudestrahlend mit meiner allerersten Einladung zu einer Modenschau in der Wohnung umhergehüpft bin. Eine Einladung! Zu einer Modenschau! Ein Traum wurde wahr.
Der Zauber ist verflogen. Das klingt hart, aber irgendwie fühlt es sich so an. Die ewig gleichen uninteressanten Z-Promis in den Frontrows. Die zu großen Teilen offenbar total uninteressierte Mode-Meute. Wie sonst könnte man es sich erklären, dass auf eine Carine Roitfeld nicht gleich ein ganzer Sturm an Menschen zugerannt ist, um sie zu fotografieren? Ehrlich, ich dachte auch zuerst, ich hätte mich verguckt, da sich offenbar nur drei, vier Fotografen für sie interessierten. Aber sie war es tatsächlich, und so konnte ich in aller Ruhe ohne herumgeschubst zu werden ein Foto von ihr knipsen. Nein, Blitzlichtgewitter gibt es nur, wenn Boris Becker auftaucht. Zu gefühlt jeder einzelnen Show. Ehrlich, Leute?
Ich habe mich dann lange gefragt: Wieso fahre ich eigentlich noch nach Berlin? Da sind mir doch in der Tat mehrere Dinge eingefallen. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass es Designer gibt, die mich jede Saison wieder faszinieren (aber davon gibt es leider auch wenige). Dennoch finde ich es schade, immer wieder neue Talente zu entdecken, die aber spätestens ein Jahr später wieder in der Versenkung verschwunden sind. Oder auch keinen Bock mehr auf Berlin haben. Dann sind da natürlich all die lieben Bekanntschaften und Freundschaften, die sich in den Jahren so entwickelt haben. Genau wie neue interessante Menschen, auf die man trifft. Zu guter Letzt macht es natürlich großen Spaß, sich eine Show anzusehen, sich von neuen Ideen hinreißen zu lassen, sich zu freuen, wenn der Lieblingsdesigner genauso inspirierend und großartig war wie in der letzten Saison, Fotos zu knipsen, einen Beitrag zu schreiben. Aber nach dem ersten Tag hat man bereits so viel Input auf der eigenen Festplatte im Kopf und auf der des Laptops gesammelt, dass es für zwei ganze Wochen Output auf dem Blog reicht. Spätestens nach dem zweiten Tag ähnelt alles eher einem Delirium, man verfällt in Massenproduktion. Karte abholen, Sitzplatz einnehmen, Show ansehen, Beitrag verfassen und das ganze von vorn. Der Vorsatz, sich doch nur die drei am hoffnungsvollsten klingenden Shows pro Tag zu Gemüte zu führen, hält ja dann irgendwie doch nicht lange vor. Ist vielleicht auch die Gier nach möglichst schnell veröffentlichten Onlineartikeln daran Schuld? Ich habe aber auch das Gefühl, meine Gedanken zu einer Kollektion sofort irgendwo notieren zu müssen, denn spätestens eineinhalb Stunden später, wenn bereits die nächsten Models des nächsten Labels über den Runway marschieren, fangen die eben eingesogenen Impressionen bereits wieder an, zu verschwimmen. Tilt.
Im Großen und Ganzen fahre ich also nach Berlin wegen vier, fünf Highlights und um die ganze liebe Modemeute wieder zu treffen, deren Bekanntschaft man in den letzten drei Jahren machen durfte – weil man es sonst ja auch nicht schafft, sich mal zu treffen, weil man eben schlichtweg nicht in der selben Stadt wohnt. Und dann schaffe ich es noch nicht einmal, alle zu treffen, die man eigentlich sehen wollte. Denn jeder einzelne lebt in dieser einen Woche nach seinem ganz individuellen Zeitplan, sodass ein mögliches Treffen eher einem schieren Zufall gleicht, wenn sich in Zeitplan A und Zeitplan B mal eine gemeinsame Lücke von mehr als einer Stunde auftut.
Der Altersdurchschnitt im Zelt liegt bei gefühlt 13 Jahren – und das Highlight scheint es zu sein, sich die Nägel lackieren zu lassen (die liebe Irina hat ähnliche Feststellungen treffen können). Dafür steht man anscheinend auch ganz gern mal eine halbe Stunde oder sogar länger an. Wieso scheint das eigentlich wichtigste, nämlich die Mode selbst, in Berlin so in den Hintergrund zu rücken? Ist das der Grund, wieso man international doch nicht so ernst genommen wird, wie man sich das immer ganz gern selbst vorgaukelt? Ist das auch der Grund, wieso hochkarätige Labels wie Boss, Escada oder Kaviar Gauche auf einmal ohne großes Brimborium von der Bildfläche verschwinden? Die Stadt Berlin scheint das Fashion Week Zelt mit all seinen lustigen, mal mehr und mal weniger auffallenden Gästen und allem, was in dieser einen Woche in der Stadt noch so an den verschiedensten Locations heraussprießt, abstoßen zu wollen wie einen Fremdkörper. Die Taxifahrer quatschen einen an mit “Is ma wieder Fäschn Wiek?”, der Pseudo-Glam des Zeltes verpufft spätestens am Brandenburger Tor, wo sich jeder nur noch ausschließlich für sein Sightseeing-Programm interessiert. Warum auch nicht, denn die Chance, zumindest einen Blick auf hochkarätige Promis zu erhaschen oder auf exzellent gekleidetes Publikum zu treffen (und damit meine ich nicht “möglichst grell und bunt”), ist eher gering.
Ich möchte nicht falsch verstanden werden. Ich liebe Mode. Ich liebe es, eine Show zu besuchen. Dieses Kribbeln, wenn es dunkel wird, kurz bevor die Musik anfängt zu spielen – aber nunja, so dunkel wird es in einer Zeit von iPads und Smartphones auch gar nicht mehr. Ich würde eine Show auch gern ansehen, ohne dass mir ein gigantisch großes Tablet die Sicht verdeckt. Nicht um ein einzelnes Bild zu machen, sondern um die gesamte Show zu filmen. Ich frage mich auch ernsthaft, wer all diese mal-eben-schnell-aus-dem-Publikum-geschossenen Bilder und Videos von fragwürdiger Qualität allen Ernstes konsumieren möchte. Ist eine Modenschau nicht mehr wert als ein unscharfes Foto mit fehlgeschlagenem Weißabgleich? Liebe Journalisten, liebe Berufs-Fotografen, an dieser Stelle verstehe ich es voll und ganz, wenn ihr uns Hobby-Blogger kritisiert. Weil genau dies das unprofessionelle Bild von Modebloggern ist, das einem während der Fashion Week vermittelt wird. Ich frage mich unweigerlich: Wollen wir das? Nein, bitte fehlinterpretiert meine Worte nicht als Kritik.
Aber wenn das Berlin ist, dann stelle ich wohl fest, dass Berlin und ich nicht (mehr?) ganz zusammenpassen. Dass ich andere Erwartungen an eine Modewoche habe. Ich weiß nicht, ob ich an einer etwas länger anhaltende After-Fashion-Week-Depression erkrankt bin, oder ob es daran liegt, dass ich letzten Sommer ein klitzekleines bisschen Pariser Modewochenluft schnuppern durfte. Dass ich das Gefühl habe, ich würde mehr nach Paris als nach Berlin passen. Dass die Mode dort mehr Spaß macht, zugleich aber auch wirklich ernst genommen wird. Eintrittskarten werden einem in Paris nicht hinterhergeworfen, dafür freut man sich umso mehr, wenn man es zu einer Hand voll Shows geschafft hat. Vor einem weitaus kleineren, dafür aber interessierter scheinendem Publikum.
Vergleiche zu ziehen, ist vielleicht falsch, aber mir ist gerade danach. Manche werden sich jetzt denken, dass ich wohl auf ziemlich hohem Niveau meckere. Dass ich mich glücklich schätzen solle, überhaupt ein paar Shows besuchen zu dürfen. Ja, natürlich tue ich das. Ich freue mich, dass meine Website den Designern und PR-Agenturen eine Karte zu einer Show wert ist, dass ich es in all den Jahren soweit gebracht habe. Natürlich hatte ich immer eine interessante Zeit in Berlin. Ich frage mich nur, ob ich modisch gesehen die deutsche gegen die französische Hauptstadt eintauschen soll. Für diese eine Woche im Jahr, in der ich die Mode in vollen Zügen genießen möchte. In der ich die Fashion Week Luft einsaugen und verinnerlichen möchte. Und soll man nicht bekanntlich genau dann aufhören, wenn es gerade am Schönsten ist?